

Die Hexe
Kritisch betrachtete ich
mich im Spiegel. Zum wievielten Male wußte ich nicht. Aber ich wollte eben so gut
aussehen wie irgend möglich. Ich zupfte hier, ich zupfte da. Probierte noch
verschiedene Hüte aus, bis ich mich dann doch für den Schwarzen entschied, den mit dem
lila Sternenmuster.
Als die Turmuhr zehn schlug, zuckte ich erschrocken zusammen. Verdammt und zugenäht,
schon wieder würde ich zu spät kommen. Hastig raffte ich mein Kleid zusammen und
stürzte aus der Haustür. Gerade als ich abschließen wollte fiel mir ein, daß ich ja
meinen Besen noch in der Küche hatte stehen lassen. Oh nein, den durfte ich nicht
vergessen. Ohne ihn war ich doch nur die Hälfte wert.
Es regnete ein wenig. Die nassen Straßen hastete ich mit einer Hast entlang, die für
mich typisch war. Im Grunde genommen gehörte ich eher zu den geruhsamen Weibern dieser
Zeit, doch langsam gehen konnte ich seltsamer weise nicht.
Der plötzlich aufbrausende Wind zerrte an meinem dunklen, aber doch pfiffigem Kleid.
Mein großer Hut war schwer gefährdet davon geweht zu werden. Mühsam hielt ich alles
zusammen. Schließlich wollte ich meinen Auftritt bei der Party nicht dadurch
gefährden, daß ich irgendein wichtiges Accessoire durch dieses blöde Wetter verlor.
Während ich es mit viel Glück und Willenskraft schaffte, alle meine sieben Sachen
beisammen zu halten, schienen etliche Maskierte, denen ich begegnete, weniger Glück zu
haben. Mit flogen schwarze Masken, rote Nasen und große Narrenkappen nur so entgegen.
Meist dauerte es nicht lange und ihre Besitzer strömten, teils fluchend teils lachend,
ebenfalls an mir vorbei.
Irgendwann sah ich dann endlich die bunten Lichter des Hauses, das mir als Ziel des
heutigen Abends galt. Pitschnaß und tiefgefroren rettete ich mich endlich unter das
Vordach. Während ich die Klingel suchte, hörte ich von drinnen schon Musik und lautes
Gelächter.
Na denn, Leute, gleich werdet ihr bestimmt noch mehr zu lachen bekommen. Nun, ich war
es ja gewöhnt. Schließlich war mein Name „Walburga“, mein Spitzname „Hexe“. Überall
galt ich als erstaunliche Komikerin.
© by J. Heinrich Heikamp